Warum Digitalisierung mehr als ein technischer Prozess ist
Tom Jahn und Tim Lenk heißen die beiden Geschäftsführer, die seit nunmehr reichlich einem Jahr das Unternehmen Holz Hess GmbH leiten. China, Amerika, Ungarn, Silicon Valley, St. Petersburg sind Stationen, die den Erfahrungsschatz von Tim Lenk prägen. Tom Jahn zog es nach der Wende nach Bayern und weite Teile Deutschlands. Die freie Stelle des Geschäftsführers fand er zufällig im Fachkräfteportal Erzgebirge, noch bevor die Rückkehr in die Heimat mit seiner Frau spruchreif war. „Mich hat die Perspektive gereizt, ein Unternehmen in die Neuzeit zu führen“, denkt er zurück. Wenige Monate bevor er bei Holz Hess im Februar 2022 einstieg, übernahm Tim Lenk zunächst den „Laden“ allein. „Meine Jahre auf Montage haben mir viel Spaß gemacht. Dann hieß es, ich müsste ganz in China bleiben. Das wollte ich nicht“, so der gelernte Elektriker. Und da er das Unternehmen bereits kannte und die Übergabe bei Hess anstand, sagte er zu. Die Fronten im Unternehmen waren anfangs gespalten, denn die Unternehmensnachfolge fiel in die Corona-Zeit. In einer Situation, die gezeichnet war durch Unsicherheiten und wirtschaftliche Schwierigkeiten, wird ein so „Junger“ Chef, erzählt Tim Lenk. Dabei ist das Team aus 31 Mitarbeitern generell sehr jung.
Digitalisierung: Mehr als technischer Prozess
Sich räumlich vergrößern, den Maschinenpark verjüngen, den Fachkräftemangel ausgleichen, um wettbewerbsfähig zu bleiben: All dies stand von Beginn an auf dem Aufgabenzettel weit oben. Und über allem schwebte der Begriff Digitalisierung, die beide gemeinsam aktiv angegangen sind. Das Tragen von Mappen mit Datenblättern und Auftragslisten oder USB-Sticks von Halle zu Halle, von Produktion zur Verwaltung, sollte bald der Vergangenheit angehören. Ziel war, über digitale Prozesse alle Aufgaben miteinander zu verbinden und damit Arbeitsabläufe einfacher und transparenter zu machen. „Aber Digitalisierung kostet nicht nur viel Geld, sondern auch Kraft. Alle Mitarbeiter müssen in dem Prozess mitgenommen werden – jene, die eine Affinität zum Internet haben und auch jene, die Ängste haben, mit der Software umzugehen“, betont Tom Jahn. Sonst drohe Überforderung und damit auch die Gefahr, Mitarbeiter gedanklich zu verlieren. Und dennoch: „Man muss technisch immer am Ball bleiben und darf sich nicht ausruhen auf einem Stand von vor zehn Jahren.“
Tom Jahn recherchierte nach möglichen Partnern, die den Prozess begleiten können. Schließlich stieß er auf das Projekt „Mittelstand-Digital“, angesiedelt bei der Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH (WFE). Angedockt an das Mittelstand-Digital Zentrum Chemnitz unterstützt das Projekt mittelständische Unternehmen bei der Einführung und Umsetzung von Digitalisierungslösungen. Dabei begleitet die WFE speziell kleine und mittlere Unternehmen aus Industrie, Handwerk und Handel in Workshops und Seminaren.
Ziel: Ein System für alle
Ein System, das alle nutzen können, sollte aufgebaut werden. Um den Transformationsprozess von Anfang an so transparent wie möglich zu gestalten, führten die Chefs regelmäßige Mitarbeitergespräche ein. Und mit jeder Teamrunde spürte man, dass die anfängliche Skepsis etwas grundhaft Neuem gegenüber auch beim letzten Mitarbeiter sank. Und jeder Workshop in der Konzeptphase führte auch dazu, dass die beiden Geschäftsführer Dinge hinterfragten. Denn es stellte sich die Erkenntnis ein: Die Zeitersparnis aus dem digitalen System schafft Raum und Zeit für neue kreative Ideen. „Wir haben große Schritte in kleinen Einheiten umgesetzt. Zum Ende des Jahres stand das neue Management-System“, so Tim Lenk.
Erzgebirge: Wo der Handschlag noch zählt
Trotz aller Digitalisierung wird im Unternehmen großer Wert auf die zwischenmenschliche Ebene gelegt. Und wie das auf dem Dorf so ist, kennen sich die meisten sogar privat. „Ich genieße die Zusammenarbeit im Team. Hier zählt noch der Handschlag. Ich schätze die direkte Geradezu-Mentalität unserer Leute, die voller Ideen stecken und die Firma mitgestalten“, so Tom Jahn, der vorher kaufmännischer Leiter in einem 800-Mann-Unternehmen war. Um weiterhin für Generalunternehmer attraktiv zu sein, soll das Angebot perspektivisch erweitert werden, ohne den Manufakturgedanken zu verlieren. Dazu ist eine neue Produktionshalle in Planung. Und auch jedes Fenster, das die Fima Holz Hess für historische, oft denkmalgeschützte Häuser verlässt, soll ein Unikat bleiben. Den Raum für diese Flexibilität wollen Tom Jahn und Tim Lenk sich weiter geben. Ganz so, wie es der Standort in seiner Historie beschreibt: Vor dem zweiten Weltkrieg wurden hier Kleider produziert, zu DDR-Zeiten Leitern und nach der Reprivatisierung Fenster. Holz wird für Jahn und Lenk auch weiterhin der Werkstoff der Wahl bleiben. „Holz ist nachhaltig und ein sehr angenehmes Material. Es ist immer wieder faszinierend, wie aus einem Vierkant ein Produkt wird, das in Neubauten oder denkmalgeschützten Gebäuden seiner Bestimmung zugeführt wird“, so beide in dem Wissen, vor über einem Jahr mit der Unternehmensnachfolge den richtigen Schritt Richtung Zukunft gegangen zu sein.