Wanderparadies Erzgebirge: Warum ohne Ehrenamtler Wege in die Irre führen
Jürgen Lang und Lutz Wittig arbeiten in ihrer Gemeinde Crottendorf Hand in Hand. Da Crottendorf aus zwei Ortsteilen besteht, ist das zu betreuende Gebiet groß. Deshalb haben sie das 68 Kilometer lange Wegenetz aufgeteilt. Jürgen Lang, der Crottendorfer, verantwortet sein vertrautes Revier – Lutz Wittig, der Walthersdorfer, den südlichen Teil des Gemeindegebietes. Alle acht bis 14 Tage sind sie unterwegs und laufen mit geübtem Kontrollblick Teile ihrer Wege ab. In „Brennpunktzeiten“, wie sie Tage wie Himmelfahrt oder Silvester nennen, auch öfters. Denn gerade dann, wenn viele Menschen die Zeit für Streifzüge durch die Natur nutzen, ballt sich das Risiko für sinnlosen Vandalismus. Dann sind schon mal Schilder verdreht und schlimmstenfalls komplette Wegweiser gesprengt. Ärgerlich sei das, ebenso wie der viele Müll, der an den Schutzhütten und Bänken hinterlassen wird.
Arbeit, die eher Leidenschaft ist
Dennoch: weder Lutz Wittig noch Jürgen Lang sehen ihren „Job“ als Wanderwegwart als echte Arbeit an. Freiwillig haben sie sich gemeldet, als Vorgänger aus Altersgründen ausschieden. Denn so scheint es oft zu sein: Wer sich einmal dafür entschieden hat, bleibt für lange Zeit Wegewart. „Klar, als Rentner hat man doch dafür erstmal richtig Zeit“, erklärt Lutz Wittig. Das Thema Wanderwege beschäftigt den 66jährigen nicht erst, seit er im Januar vergangenen Jahres in Rente ging. Seit der Wende in der Gemeinde beschäftigt – zuletzt im Bauamt Crottendorf, lag das Wegenetz von Anfang an auf seinem Tisch. „Ich habe immer gesagt: Wenn ich mal Rentner bin, übernehme ich die Aufgabe des Wegewartes.“ Und auch Jürgen Lang wuchs in diese Rolle hinein. Als Mitbegründer des Erzgebirgszweigvereins Crottendorf im Jahr 1990 war er immer für die Organisation von Wanderungen zuständig. 2002 ließ er sich für den Sächsischen Wandertag in Schwarzenberg zum Wanderführer ausbilden. In dem Zusammenhang stellte er fest, dass es noch Lücken bei den Markierungen gibt und bot dem damaligen Wegewart Unterstützung an.
Wenn man beide fragt, warum sie dieses Ehrenamt bekleiden, überlegen sie nicht lang: es ist die Leidenschaft für das Wandern, das Interesse an der Natur von frühester Kindheit an und der Wunsch, etwas für die Gesellschaft zu tun. „Es liegt mir einfach am Herzen. Und wenn wir Leute für die Region touristisch begeistern wollen, müssen wir auch eine entsprechende Infrastruktur vorweisen“, so Lutz Wittig. Dafür schauen sie sich auch manches auf ihren Urlaubsreisen in Wanderregionen ab. „Ich war seit 1990 viel in den Alpen wandern und dachte damals: So schön muss das auch bei uns werden“, so Jürgen Lang.
Wanderregion Erzgebirge: ohne Ehrenamt unmöglich
4.500 Kilometer Wanderwege unterschiedlichster Kategorien vom Orts- bis zum Fernwanderweg: Das Wegenetz, das es zu betreuen und koordinieren gilt, ist im Erzgebirgskreis riesig. Für die Einheimischen und Gäste bedeutet das, ein wahres Wanderparadies vorzufinden. Für die Kommunen heißt das aber auch: Mehrere tausend Schilderstandorte, hunderte Schutzhütten und noch viel mehr einzelne Schilder zu jeder Jahreszeit in Ordnung zu halten. Auch deshalb wurde in den letzten Jahren als wichtiger Schritt aus allen Wegen das sogenannte Kernwegenetz definiert. Das heißt, dass man sich in der Pflege zuerst auf die Wege konzentriert, die für die Nutzer am attraktivsten sind. „Ohne Ehrenamt wäre all das gar nicht möglich. Deshalb ist es uns auch so wichtig, den Engagierten immer wieder Danke zu sagen“, so Jens Habermann, Projektmanager Touristische Infrastruktur bei der Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH, die als Kreiswegewart fungiert. Er unterstützt die Wegewarte bei der Umsetzung der Richtlinien, die es in Sachsen zur Kennzeichnung der Wege gibt. Und er lädt die Ehrenamtlichen regelmäßig zu Veranstaltungen ein, damit sich alle kennenlernen und austauschen. Denn wenn auch die Verantwortungen offiziell an den Ortsgrenzen enden, muss dort fließend der Nachbarwegewart übernehmen. Schließlich sollen diese Grenzen für Wanderer nicht sichtbar sein und eine durchgängige gleiche Qualität gewährleistet bleiben.
Handwerker mit Kontrollblick
Schilder ausbessern, Bänke lackieren, Müll einsammeln, Wegezustände kontrollieren gehören zu den Standardaufgaben von Lutz Wittig und Jürgen Lang. Zusammengearbeitet wird eng mit dem Crottendorfer Bauhof. Werkzeug und Material wird von der Gemeinde zur Verfügung gestellt, die Umsetzung erfolgt in Handarbeit von den Wegewarten. „Es gibt auch Kommunen, in denen die Wegewarte nur die Missstände in der Verwaltung melden und der Bauhof dann zu den Reparaturen ausrückt. Das ist in den Kommunen ganz unterschiedlich geregelt“, weiß Jens Habermann. Grundsätzlich können die Wegewarte auf Unterstützung im Ort bauen, zum Beispiel vom Erzgebirgszweigverein, ihren Wegewart-Vorgängern und auch aufmerksamen Einheimischen, die sich melden, wenn sie irgendwo am Weg ein „Leck“ entdecken.
„Hallo Schmutzfink ...“
„Es ist nicht immer einfach, gerade wenn die Zerstörungswut der Menschen wieder einmal groß war und Schilder besprüht oder gar zerstört wurden“, erzählt Lutz Wittig. Erst kürzlich heftete er einen Brief an ein Schild, der mit den Worten begann“ Hallo Schmutzfink...“ und endete „... würde mich über deinen Mut freuen, dich bei mir zu melden und die Schilder herzurichten“. Aber das tun die wenigsten. Doch selbst einmal Hand anzulegen, zu reparieren, was in sinnlosen Augenblicken zerstört wurde, darin sehen beide den größten Lerneffekt.
Geht man mit Jürgen Lang und Lutz Wittig auf Tour, wissen sie an fast jeder Ecke etwas zur Historie des Ortes und vor allem der Wege zu erzählen. „Man beschäftigt sich automatisch mit der Geschichte. Aber sich darüber schlau zu machen, wird immer schwerer, weil viel Wissen mit den Generationen verloren geht“, so Lang. Dennoch machen sich die beiden Ur-Erzgebirger weniger Sorgen um den Nachwuchs als um die Zukunft des Wanderverhaltens. Wird die nächste Generation nur noch mit dem Handy vor der Nase per GPS laufen und keine Schilder mehr brauchen? Oder steht auch weiterhin viel mehr das handyfreie Genießen, um dem digitalen Alltag zu entfliehen, im Vordergrund? Fakt ist: Wenn der Akku des Smartphones leer ist, wird es auch in Zukunft ohne Schilder schnell finster im Wald. So ist es also weiterhin wichtig, dass sich in den nächsten Generationen weiterhin engagierte Wegewarte im Erzgebirgskreis finden. Und diese sollten auf jeden Fall handwerklich begabt sein, mit einem Akkuschrauber umgehen und eine Bank bemalen können sowie mit Leidenschaft zu jeder Jahreszeit in der Natur des Erzgebirges unterwegs sein. So sind sie für ihre sehr wichtige Aufgabe im Sinne eines qualitativ hochwertigen Aktivtourismus im Erzgebirgskreis gewappnet.