Marzebilla – eine Fee voller Geheimnisse
Petr Mikšícek hat sein Herz an das Erzgebirge verloren – In seinem neuen deutsch-tschechischen Buch widmet er sich einer SagengestaltEr hat dokumentarische Bücher verfasst, das Landart-Festival Königsmühle ins Leben gerufen und etliche Kurzfilme gedreht: Petr Mikšícek ist einer der wenigen Menschen, denen es gelingt, das Erzgebirge auf der tschechischen Seite populär zu machen. Nun befasst er sich mit der Sagengestalt der Marzebilla. Mit ihm sprach Vladislav Podracky.
Freie Presse: Wie bist du zu der erzgebirgischen Thematik gekommen, wenn du selbst nicht aus den Bergen kommst?
Mikšícek: Mein Großvater arbeitete in den 1950er Jahren in den Uranminen in Jáchymov, danach kaufte er sich ein Haus in Horní Blatná, wo er Lebensmittel verkaufte. Von dort zog er nach Rudné bei Vysoká Pec. Dort wurde auch ich gezeugt. Als Kind bin ich später immer zu Großvater gefahren. Seit dieser Zeit hat das Erzgebirge einen festen Platz in meinem Herzen.
Aber das Schreiben über die Berge begann viel später ...
Erste Texte habe ich schon in der Schule verfasst. Aber erst als ich Kulturwissenschaften zu studieren begann, beschloss ich, die Bachelor- und Diplomarbeiten über das Erzgebirge zu schreiben. Zu dieser Zeit war ich mit der Ausstellung „Verschwundenes Sudetenland“ unterwegs. Ein interessantes Thema. Aber das Sudetenland ist ein riesiges Territorium, so dass es nicht möglich war, es mehr in die Tiefe zu erfassen. Deshalb habe ich beschlossen, mich auf einen Teil zu konzentrieren – auf das Erzgebirge.
2005 entstand das Buch „Wiederentdecktes Erzgebirge“, das fünf Auflagen erlebte. Aber dann hast du das Schreiben gegen die Fotografie getauscht. Warum?
Es kam parallel mit der Arbeit an dem Buch „Die Gesichter des Erzgebirges“. Dieses entstand aus Interviews mit Zeitzeugen. Wenn ich zu ihnen fuhr, habe ich auf dem Weg dorthin fotografiert. Deshalb bin ich zu fast allen Treffen zu spät gekommen, die Gesprächspartner waren deshalb oft sauer. Aber ich stellte fest, dass das Bild oft mehr sagt als Worte. Und so begannen sich langsam die Fotografien über die Worte zu erheben – und daraus entstand dann das Buch „Erzgebirgsparadies“.
Aber am Ende setzte sich die Kinematografie durch.
Ja, aber es war eine Art logische Fortsetzung. Ich habe in dieser Zeit dem Tschechischen Fernsehen beim Filmen geholfen, und lernte, selbst Drehbücher zu schreiben. So fand ich heraus, dass man die Erzgebirgsgeschichten am besten in einem Film bearbeiten kann. Inzwischen drehe ich viel mehr, als ich schreibe.
Dabei hast du auch die Sagen- gestalt Marzebilla entdeckt?
Nein, von ihr hatte ich frühzeitig gehört, ihr aber zunächst nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. So erzählte mir eine Frau, dass sie als Kind von ihrer Mutter gewarnt wurde, nicht zu spät vom Spielen nach Hause zu kommen, sonst werde sie Marzebilla treffen, und die mache etwas Böses. Das Theater in Most führte ein Stück über sie auf, Touristen machten sich auf die Spuren der Sagengestalt. Man kannte sie im Norden des Erzgebirges ziemlich gut, während sie im westlichen Teil fast unbekannt blieb. Ich habe sie eigentlich erst dann registriert, als eine nordböhmische Agentur einen Wettbewerb um den Herrscher des Erzgebirges ins Leben rief – so etwas wie Rübezahl im Riesengebirge. Es kamen verschiedene Vorschläge, wie Berggeist und dergleichen, am Ende gewann Marzebilla.
Und du hast dich entschieden, über sie Filme zu machen?
Überhaupt nicht. Der Wettbewerb endete, das Projekt wurde abgeschlossen, ein Strich gezogen – und das war es. Mir tat es in diesem Moment irgendwie leid. Wenn sogar Rübezahl Mitarbeiter eines Nationalparks sein kann, in Märchenfilmen auftritt, sogar fast auf jedem Souvenir abgebildet ist, warum kann nicht auch Marzebilla leben. So begann ich mit Recherchen.
Damals ging es um die Fakten aus der regionalen Mythologie. Warum hast du dann den Weg der Fiktion gewählt?
Es hatte eine gewisse Logik. Ein Dokumentarfilm kann ein Vorläufer für einen Spielfilm sein. Und wenn Marzebilla zum Leben erweckt werden soll, kann die Geschichte nicht irgendwo im letzten Jahrhundert enden, sie muss bis in die Gegenwart gehen. Ich dachte zwei Jahre darüber nach, wie ich Legende und Gegenwart verbinden könnte, damit für Tschechen und Deutsche eine universelle Botschaft entsteht, die für beide akzeptabel ist.
Und die Leute akzeptierten es?
Ich habe versucht, die Geschichte immer ernst darzustellen, rational, aber so, dass man genau erkennen kann, wann ich mir etwas ausgedacht habe. Die Leute haben das Spiel angenommen. Im Buch über Marzebilla und in meinen Filmen sind mehr als 70 Prozent der Geschichten real – die Menschen, die Handlungen, und auch die Orte, an denen sie stattfinden.
Du hast eine Reihe von Filmen über Marzebilla gedreht. Jetzt liegt das erste deutsch-tschechische Buch über die Sagengestalt vor. Was kommt als nächstes?
Ich würde gerne das Buch verfilmen. Wir haben seit 2015 schon einen Teil abgedreht, aber für die weitere Arbeit fehlen uns derzeit die finanziellen Mittel. Wir werden jetzt erst einmal Kurzfilme über das Erzgebirge produzieren. Wir wollen für das Museum Abertamy Szenen aus dem mittelalterlichen Bergbau mit der 360-Grad-Kamera drehen. Und es wird ein Projekt „Zeitmaschine“ geben. Dabei können die Besucher einen Knopf drücken und unternehmen eine Zeitreise – Mittelalter, Antike, Neuzeit. Und auf einem Bildschirm wird auch Marzebilla sprechen. Aber das alles ist erst der Anfang. Es ist eine große Aufgabe, Marzebilla dem Erzgebirge zurückzugeben.
(Quelle: Freie Presse)