Kretschmer trifft Tschechiens Premier Babis in Liberec

Tschechien und Sachsen waren in der Corona-Krise monatelang getrennt. Nun kehrt auch auf politischer Ebene ein Stück Normalität zurück.

Von Nora Miethke:

Die Zahl der Neuinfizierten mit Covid 19 steigen in Sachsen wie in Tschechien. In der Region um Liberec (Reichenberg) gilt schon

seit Juli wieder die Maskenpflicht. So streng, dass der tschechische Premier Andrej Babis auch bei seinen Treffen mit

Ministerpräsident Michael Kretschmer am Donnerstag in Liberec das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes von den Beteiligten im

vorab wünschte. „Hack the Crisis“ stand auf seinem schwarzen Stoffschutz, Kretschmer zog wieder seine grüne „So geht sächsisch“-

Maske über. Die Slogans zeigen auch ein wenig, wie beide Länder diese Krise angehen. Tschechien war das erste Land in Europa,

dass bereits am 19. März das Tragen eines Mundschutzes verordnete, hart und unerbittlich auch die Schließung der

Grenzübergänge, die dann folgte bis zum Juni.

Das war vermutlich damals nicht anders möglich gewesen, habe aber zu erheblichen „Verwerfungen geführt“, betonte Kretschmer

nach einem Arbeitsfrühstück vor der Presse. „Das darf sich so nicht wiederholen, da sind wir uns einig“, sagte der CDU-Politiker.

Dem Vernehmen nach hat auch der tschechische Regierungschef in dem Arbeitsgespräch ausgeschlossen, dass es im Falle einer

zweiten Corona-Welle zu einer erneuten Grenzschließung kommen wird. Stattdessen konzentrierten sich beide Seiten auf die

Bekämpfung lokaler Brennpunkte. Auch arbeiten Sachsen und Tschechen in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit Bayern und

Österreich an Vereinfachungen für Arbeitspendler. Denkbar seien laut Kretschmer mehrsprachige Krankenscheine.

Kurzarbeit nach deutschem Vorbild

Nach deutschem Vorbild will das Nachbarland Kurzarbeit-Regelungen einführen. Ein entsprechendes Gesetz ist in Arbeit und Babis

hatte viele Fragen zu Antrags- und Auszahlungsmodalitäten. Auch der Verzicht auf Maskenpflicht für Schüler im neuen Schuljahr in

Sachsen wurde angesprochen. Auf beiden Seiten der Grenze sinkt die Akzeptanz dieser Schutzmaßnahme, das ist beiden Politikern

klar. „Wir haben ähnliche Vorstellungen von Freiheit und Eigenverantwortung der Bürger und wollen gesellschaftliches Leben ohne

großen Einschränkungen ermöglichen“, sagte Kretschmer.

Das Treffen war das erste während der Corona-Pandemie und startete – fast symbolhaft – in der wissenschaftlichen Bibliothek, die

im Bau der Versöhnung untergebracht ist. „Wir begegnen uns recht oft, pflegen freundschaftliche Beziehungen und haben viele

gemeinsame Interessen“, begrüßte Babis den Gast aus Sachsen. Die Palette der angesprochenen Themen war breitgefächert vom

Austausch über Covid 19, der Lithiumabbau in Zinnwald, die politische Lage in Weißrussland bis hin zu Ideen für mehr sächsischtschechische

Forschungsprojekte.

Babis will Krebsforschung vorantreiben

Ein Thema lag dem tschechischen Regierungschef besonders am Herzen – der Kampf gegen Krebs. „Wir sind alle verrückt wegen

Corona. Aber in Tschechien sterben jedes Jahr 27.000 Menschen an Krebs. In Europa sind es 1,3 Millionen“, so Babis. Im

Nachbarland gibt es kaum Krebsforschung. Das will der Premier, der es nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zum Multimilliardär

geschafft hat, mit Unterstützung der Sachsen ändern.

Der mitgereiste Präsident der Fraunhofer Gesellschaft, Reimund Neugebauer, nahm es wohlwollend zur Kenntnis, verfolgt zunächst

jedoch erst einmal andere Pläne. Im Beisein von Babis und Kretschmer unterzeichnete er mit dem Rektor der Technischen

Universität Liberec eine Absichtserklärung, ein Hochleistungszentrum für transdisziplinäre Systeme aufzubauen. Was sich dahinter

verbirgt, bleibt unklar. Es geht um „Forschungsfelder von gemeinsamen Interesse“ heißt es in der Absichtserklärung und aufgelistet

werden als Beispiele Produktionsprozesse im Rahmen von Industrie 4.0, Nanotechnologie oder intelligente Materialien. Die TU

Liberec wiederum würde gern mit Sachsen bei den Themen Wasserstoff, Endlager für Atommüll und Rekultivierung von

Braunkohletagebau-Gebieten zusammenarbeiten.

Ein auffälliger Imagewechsel

Und auch Premierminister Babis hat seine eigenen Vorstellungen. Seiner Ansicht nach zeigt die Corona-Krise, in welchen

Berufsgruppen die Gesellschaft mehr Hochschulabsolventen brauche und das seien Krankenschwestern, Ärzte, Pädagogen und

Ingenieure. Politologen, „die den ganzen Tag nur im Fernsehen redeten“, zählt er ausdrücklich nicht dazu.

Bei einer Gondelfahrt auf den Liberecer Hausberg Jested (Jeschken) und beim Mittagessen dort, wurde das eine oder andere

Thema noch vertieft. Babis spricht fließend deutsch. Zum Schluss wäre fast noch der eng getaktete Zeitplan Kretschmers an der

Leutseligkeit seines Gastgebers durcheinander gekommen. Denn Babis vollzieht seit einigen Monaten einen auffälligen

Imagewechsel. Gab er früher eher den technokratischen Experten, ist er jetzt ganz der Landesvater, der zuhört und sich kümmert.

Immer wieder bleibt er auf dem Weg zum Restaurantausgang stehen, plaudert mit Angestellten und einheimischen Touristen. Eine

Polizeieskorte mit Blaulicht macht es dann möglich, dass der Besuch aus Sachsen es doch noch fast pünktlich zum nächsten

Termin schafft – ein Spatenstich in Zittau.