Film-Premiere in Chomutov (CZ) - Deutschböhmen und ihre Schicksale
Ein Saal im Kino „Svìt“, ein paar Tage vor Weihnachten. Die Reihen sind gut gefüllt, Deutsche und Tschechen haben nebeneinander Platz genommen; ein Bus brachte Gäste aus dem Landkreis Mittelsachsen nach Komotau. Schüler des Gymnasiums Kadaň, früher Kaaden, singen „Stille Nacht“ auf Tschechisch und auf Deutsch. Und dann winkt Pauli Luft.Die alte Dame, wie sie in ihrem Haus mit dem schiefergedeckten Erker in Strupčice (deutsch Trupschitz) aus dem Fenster schaut, ihren Mann im Rollstuhl in den Garten schiebt: Es ist die erste Szene des Films „Generation N: Deutschböhme“, der an diesem Abend in Komotau Premiere feiert. N – das steht für Němec, Deutscher. Die Deutschen in der Tschechoslowakei mussten ab Sommer 1945 weiße Armbinden mit dem Aufdruck „N“ tragen. Als „N“ bekam man weniger Lebensmittel, durfte keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, ja nicht mal auf dem Bürgersteig laufen.
Bei den Tschechen galten die Deutschböhmen als fünfte Kolonne Hitlers, als Tätervolk. Etwa 3 Millionen Deutsche mussten nach dem Zweiten Weltkrieg die Tschechoslowakei verlassen. Nur wenige durften bleiben – wie Pauli Luft, deren Familie einfach vergessen wurde, als 1946 der letzte Transport ging. Den Vater hatten sie erschossen, offiziell war es Selbstmord. Als Zehnjährige erlebte sie, wie die Häuser der Nachbarn geplündert wurden, wie man sie aus dem Zug warf, weil sie Deutsche war, wie sie zunächst nicht einmal zur Schule gehen durfte, weil sie wie viele in der einst fast rein deutschen Region kein Tschechisch sprach. So viel Hass war damals. „Die Tschechen ließen es uns spüren“, sagt Pauli Luft. Heute wechselt die spätere Bahnmitarbeiterin und Lehrerin zwischen Deutsch und Tschechisch hin und her, wenn sie in ihrer Wohnstube sitzt und erzählt.
Veronika Kupková und Olga Komarevtseva lassen sie erzählen. Die beiden jungen Frauen aus Tschechien und Russland arbeiteten als Projektmanagerinnen in der internationalen Freizeit- und Begegnungsstätte „Grüne Schule grenzenlos“ in Zethau in Mittelsachsen. Sie haben Pauli Luft und drei weitere Deutschböhmen mit der Kamera begleitet – auf sehr einfühlsame Weise. Ihr Film, gefördert vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, braucht keinen Sprecher, der erläutert, kommentiert, einordnet. Die Menschen und die Bilder sprechen für sich.
So wie Milan Král, Jahrgang 1936, dessen tschechischer Vater starb, als er drei Jahre alt war. Der die ersten Worte auf Tschechisch sagte, der dann nur Deutsch sprach und nach dem Krieg Tschechisch wieder neu lernte. Milan Král ist noch immer ein stämmiger Mann, in der sozialistischen Tschechoslowakei war der passionierte Sportler 15 Jahre lang Präsident des Eishockeyclubs in seiner Heimatstadt Klösterle/Klášterec. Er hat nicht vergessen, wie ihm als Elfjährigem die tschechischen Jungen die Kehle zudrückten, weil er Deutscher war. Heute scherzt er mit den jungen Frauen und ruft ihnen ein freundliches „Ahoj“ hinterher.
Und dann gab es die, die vertrieben wurden. Simeon Schlosser lebt heute in Voigtsdorf in Mittelsachsen, seine Heimatstadt Preßnitz versank 1974 in einer Talsperre. Doch wenn er dort spazieren geht, übers Wasser schaut, dann hegt er keinen Groll mehr. Als Heimatvertriebener ruft er den heutigen Kriegsflüchtlingen zu: „Herzlich willkommen in Deutschland!“
Schließlich Gertrud Landsmann. Sie wurde als junge Frau vertrieben, stieg in Freiberg, einer fremden Stadt, aus dem Zug. „Die Freiberger haben die Türen und Fenster zugemacht“, erinnert sie sich. Für den Film kehrt sie mit 95 Jahren noch einmal in ihre Heimatstadt Bilin/ Bílina zurück, und eine verschwundene Welt wird wieder lebendig – eine Welt mit böhmischen „Zuckerle“, auch heute noch steht „Curkrárna“ an der Hausfassade, mit dem jüdischen Geschäftsmann, ein angenehmer, freundlicher Mensch, dem der Laden an der Ecke gehörte und der irgendwann weg war, mit dem Zeppelin über der Stadt. Ihre Lebenslehre lautet: „Nie wieder Krieg.“
An dem Dezemberabend im Kino in Komotau sind fast alle gekommen: Pauli Luft und ihr Ehemann, Milan Král und Karl Simeon Schlosser. Nur Gertrud Landsmann fehlt. Sie ist Ende August gestorben. „Sie hätte sich sehr über den Film gefreut“, sagt eine ihrer Enkelinnen. Es sind bewegende Momente, nicht nur für die beiden Filmemacherinnen und ihr Team. Eine Tschechin spricht aus, was wohl viele im Publikum denken: „Dieser Film gehört in die Schulen und ins Fernsehen.“
(Quelle: Freie Presse)