3. Fachkräftetagung „Willkommen im Erzgebirge“:
„Ostdeutschland wird das Land der schnellen Karrieren“, lautet die These von Soziologieprofessor und Arbeitsmarktexperte, Prof. Michael Behr. Der Abteilungsleiter im Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie und Honorarprofessor an der Westsächsischen Hochschule Zwickau war Hauptreferent der 3. Fachkräftetagung „Willkommen im Erzgebirge“, die heute Nachmittag in der Mauersberger-Aula in Annaberg-Buchholz stattfand. Die aktuelle Arbeitslosenquote im Erzgebirgskreis von 4,8 Prozent ist ein Indiz dafür, dass die leistungs-und wettbewerbsfähige Wirtschaft in der Region floriert. Perspektivisch gilt es in den Unternehmen zahlreiche Stellen mit Fachkräften zu besetzen, die nicht allein durch vorhandene Ressourcen abgedeckt werden. Um Fachkräfte zu gewinnen, gehen viele Unternehmen neue Wege, wollen mehr denn je als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werden. Dafür potentielle Arbeitnehmer aus anderen Regionen Deutschlands und dem Ausland zu rekrutieren, wird künftig eine Möglichkeit sein, um die Lücken in den Reihen der Fachkräfte zu schließen. 100 Teilnehmer, darunter Unternehmer, Personalverantwortliche sowie Vertreter verschiedener Fachverbände hatten sich zur Veranstaltung der Fachkräfteallianz Erzgebirge unter Schirmherrschaft von Martin Dulig, Sächsischer Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, angemeldet. Die meisten Gäste der Tagung eint die Betroffenheit vom strukturellen und demografischen Wandel des Erzgebirges. Der Blick über den regionalen Tellerrand hinaus sollte heute positive Impulse geben. Staatssekretär Stefan Brangs, Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, betonte, dass aus seiner Sicht viele engagierte Leute in der Region Erzgebirge am Werk sind, mit dem Ziel, etwas verändern zu wollen. „Schulische Bildung, Digitalisierung und Zuwanderung – Fachkräftesicherung durchdringt viele gesellschaftliche Themenbereiche“, so Brangs in seinem Grußwort. Jeder Region Sachsens hätte trotzdem ihre Besonderheiten und so seien regionale Imagekampagnen wie im Erzgebirge zu begrüßen. Positiv beleuchtete Prof. Michael Behr in seinem erfrischenden Impulsreferat den Begriff des Fachkräftebedarfs. Auch wenn dieser oftmals als problemorientierter Begriff verwendet würde, so hätte sich die stark aufgestellte erzgebirgische Wirtschaft den Bedarf doch erst erarbeitet. „Die Weichen im Erzgebirge können positiv gestellt werden, wenn es gelingt durch Rück- und Zuwanderung den demografischen Teufelskreis zu durchtrennen, wenn Arbeitgeber attraktiver werden und eine ehrliche Kultur der Integration etabliert wird“, so Behr. Viele Unternehmer der Region werden längst selbst aktiv, wenn es heißt, im Unternehmen optimale Rahmenbedingungen für die Mitarbeiter zu schaffen. Sie übernehmen soziale Verantwortung, machen sich stark bei der Gewinnung von Auszubildenden sowie beim Halten von bestehenden Mitarbeitern und dem Thema Unternehmensnachfolge. Die Wohn- und Pflegezentrum Annaberg gGmbH ist beispielsweise mit 375 Mitarbeitern ein regionaler Arbeitgeber, der mit pfiffigen Ideen wie einer Azubi-Akademie und zusätzlichen Angeboten wie Möglichkeiten zur Fitness jährlich 14 junge Leute für einen Beruf begeistert, der für manche auf den ersten Blick wenig attraktiv scheint. Personalmanager Alexander Carl machte während der Podiumsdiskussion deutlich, dass eine fachlich fundierte Ausbildung die Basis jeglicher Fachkräftesicherung bildet: „Dafür fangen wir frühzeitig an und werben schon in jüngeren Schulklassen beispielsweise durch Patenschaften für den Pflegeberuf.“ Sich zusätzlich sozial zu engagieren und Leben nicht nur aufs Arbeiten zu reduzieren, ist seit langem eine Prämisse von Tabea Schäfer, Geschäftsführerin der Bahner & Schäfer GmbH aus Oelsnitz. „Als vierfache Mutter weiß ich, dass durch Wertschätzung und Kommunikation vieles in einem Unternehmen bewegt werden kann.“ Dennoch sprach sie im Podium ein Thema an, das vielen Unternehmern unter den Nägeln brennt: die Bedeutung der Digitalisierung für die Fachkräftesicherung. Aktuell liegt eine Breitbandverfügbarkeit von 100 Mbit/s im Erzgebirgskreis bei lediglich 32 Prozent. Staatssekretär Stefan Brangs, verantwortlich im Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr für die Digitale Initiative Sachsen, betonte, wie wichtig es ist, die Infrastruktur im ländlichen Raum fit zu machen und damit die Attraktivität als Wohn- und Arbeitsorte zu steigern: „Es tut sich was in diesem Bereich, wenn auch noch nicht zufriedenstellend.“ Ausländische Fachkräfte: Ein Weg vom Exoten zum Neu-Erzgebirger Mit dem Abholen, Aufnehmen und Integrieren ausländischer Fachkräfte beschäftigte sich der zweite Teil der Fachkräftetagung. Bereits heute arbeiten und leben Menschen aus verschiedenen Nationen der Welt im Erzgebirge, deren berufliches Können und Fachwissen geschätzt wird. Um den Fachkräftebedarf in den nächsten Jahren decken zu können, wird das Thema Zuwanderung mehr denn je in der Region eine Rolle spielen. Dabei gilt es jedoch manchen Stolperstein zu überwinden: von skeptischen Kollegen über komplizierten Formalitäten bis hin zu fehlenden Chancen der Integration im direkten persönlichen Umfeld. Ausländische Mitarbeiter und Auszubildende einzustellen, langfristig an die Region zu binden und den Heimatgedanken zu fördern, ist eine umfassende Aufgabe für den Bewerber und sein unmittelbares Arbeits- und Lebensumfeld. Falk Höhn, Director Human Resources von der TURCK Beierfeld GmbH, reflektierte in seinem Bericht, vor welchen Aufgaben das Unternehmen bei der Integration eines ungarischen Mitarbeiters stand und wie die Firma von der Internationalität profitierte. Auch wenn das Unternehmen von über 60 internationalen Standorten aus agiert, ist die Aufnahme eines Zuwanderers im ländlichen Raum trotzdem eine Herausforderung, die sich aber anzupacken lohnt. Der Wille, Migranten als potentielle Arbeitnehmer zu betrachten, ist bei vielen Unternehmern längst vorhanden. Den meisten von ihnen stellt sich allerdings die Frage, wie man internationale Fachkräfte finden und kontaktieren kann. Im Alleingang haben die klein- und mittelständischen Unternehmen kaum eine Chance, selbstständig im Ausland aktiv zu werden. Lisa Wagner, Vermittlerin bei der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung, stellte Dienstleistungen des Internationalen Personalservice Sachsen der Bundesagentur für Arbeit vor, die einwanderungswillige Fachkräfte vermittelt. „Wir beraten Unternehmer, welche Schritte notwendig sind beim Einstellen ausländischer Fachkräfte. Um die potentiellen Zuwanderer für Deutschland zu interessieren nutzen wir unsere Netzwerke direkt im Ausland und veröffentlichen dort Stellenangebote.“ Welcome Center Erzgebirge als Lotse durch den Behördendschungel Um den Prozess des Aufnehmens ausländischer Fachkräfte zu vereinfachen, erweiterte die Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH (WFE) im Sommer 2016 ihr Dienstleistungsportfolio um ein sogenanntes Welcome Center Erzgebirge. Von der Fachkräfterichtlinie des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr für drei Jahre „anschubfinanziert“, versteht sich das Center als Anlaufstelle für erzgebirgische Unternehmen und Zuwanderer aus dem In- und Ausland, die in der Region arbeiten und leben möchten. „Wir wollen als Lotse Bindeglied zwischen den Unternehmen, den Neuankömmlingen und den Institutionen sein. Durch persönliche Betreuung erarbeiten wir individuelle Lösungen und stellen unkompliziert Kontakte zu den jeweilig verantwortlichen Fachstellen als unseren Partnern her. Schließlich gestaltet sich jeder Fall in seinen Formalitäten und Lebensumständen ganz unterschiedlich“, erklärt Matthias Lißke als Geschäftsführer der WFE in seinem Beitrag. Man wolle ermutigen und unterstützen, in den Unternehmen und so in der Region Erzgebirge, eine Willkommenskultur für ausländische Fachkräfte aufzubauen. Hintergrund: 2014 bereiteten zwei Fachkräftetagungen den Aufbau des Welcome Centers Erzgebirge vor. Sowohl durch Studien unterlegt als auch anhand konkreter Erfahrungsberichte aus Workshops und in Vorträgen wurde die Situation erläutert und der Bedarf an Zuwanderung im Erzgebirge untersetzt. Durch Fördermittel der Fachkräfterichtlinie des SMWA gelang es im Sommer 2016, das Projekt „Welcome Center Erzgebirge“ zu starten. Darüber hinaus werden durch diese Mittel weitere Projekte für die regionale Wirtschaft vorangetrieben. Rückblick zur Fachkräftetagung „Willkommen im Erzgebirge“ vom KabelJournal® Diese Maßnahme wird mitfinanziert mit Steuermitteln auf Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes.